
Das Buch fängt an mit einer „Denkschrift“, datiert Dezember 1912 (S. 1–2), die das erste Jahr der Kolonie als 1903 angibt. Der erste Kolonist war Herr Friedrich Pache. 1906 bis 1907 kamen noch ca. 70 Lauben dazu, aber erst ab 1909 gab es Wasser direkt vom Wasserwerk, davor über die Nachbarskolonie „Brennicke“. 1912 waren schon 105 Kolonisten angemeldet, was die Wasserversorgung unter Druck setzte (der Autor scheint sich sehr mit dem Wasser beschäftigt zu haben: diese Geschichte wird recht detailliert erzählt. Siehe auch die „chronologische Tafel“ auf S. 455, die sich hauptsächlich an der Entwicklung der Wasserversorgung orientiert). Der Verein „Laubenkolonie Westend“ wurde im Dezember 1912 gegründet, weil kein Einzelkolonist die gesamte Verwaltungsarbeit vom rührigen Herrn Otto Michaelis übernehmen wollte. Die Gründung des Vereins wurde allgemein begrüßt: „Die Kolonisten sind alle der Meinung damit den richtigen Weg zum friedlichen Gedeihen der Kolonie eingeschlagen zu haben“ (gez. Hans Pfau, Schriftführer).
Danach kommt das Protokoll der ersten Versammlung, am 15. Dezember 1912 in der Roßtrappe bei Lewandonsky (dies könnte eventuell die Gaststätte “Zur Roßtrappe” sein, Akazienallee 27). Die folgenden Sitzungen werden im Restaurant Fürstensaal „bei Herrn Rau/Rauh“ gehalten, die Vollversammlungen auch manchmal auf dem Festplatz der Kolonien. Die Versammlung vom 4. Oktober 1914 wurde mit einer kurzen Anrede des Vorsitzenden zum „Ernst der Zeit“ und zu Ehren der Kolonisten, „welche zum Feldzug einberufen sind“, begonnen. Nachdem 1913 und 1914 häufig Versammlungen gehalten werden, sind es 1915 nur zwei, dann 1916 nur eine. 1917 sind es wieder drei, 1918 nur eine. In den 1920er Jahren werden Versammlungen wieder öfter gehalten, zum Teil alle zwei Monate, und immer gut besucht mit bis zu 92 Anwesenden. Ab 1922 trifft man sich meist im Restaurant Fürstensaal an der Spandauer Chaussee, heute Spandauer Damm (Bild siehe unten), aber auch bei Herrn Steiner in der Kolonie und auf dem Festplatz der Kolonie Westend (der Festplatz wird im März 1923 erstmalig genannt). Ab Oktober 1924 fällt der Fürstensaal weg, und die Versammlungen finden im Restaurant Wrobel (Spandauer Chaussee) oder am Festplatz der Kolonie statt, auch mal im Restaurant Eichler (Hebbelstr. 17). 1928, 1929 und 1930 werden die Versammlungen hauptsächlich im Restaurant Bohne (Spandauer Chaussee) gehalten (1928 auch mal im Edenspalast, Kaiser-Friedrich-Straße, oder „in der Roßtrappe“). Ab Mai 1931 findet die Versammlung „im Vereinshaus“ statt.
Interessant sind die Unterschiede in der Handschrift und in der Art der Protokollführung, ob Fließtext oder (z.B. beim ersten Protokoll von B. Brandhuber, Schriftführerin, S. 96-99) detailliert nach den Namen der Sprechenden angeordnet. Im Folgenden habe ich hauptsächlich die getippten Protokolle wiedergegeben, da diese sehr viel leichter zu lesen sind.
Im Protokoll vom 28. September 1919 geht es z.B. um das Erntefest (S. 52). Dort wurden aus Eintrittskarten (zu 50 und 25 Pfennig), Lose (560 à 25 Pfennig), „Papier und sonstigem Verkauf“, Leihgebühren der Kol. Braunsfelde und Verkauf der Festplatzausschmückung 614,75 Mark eingenommen und für Musik (alleine 245 Mark!), Aufbau und Abräumen am Festplatz u.v.a.m. insgesamt 567,40 Mark ausgegeben. Daraufhin wird diskutiert, wie man im nächsten Jahr einen besseren Umsatz erzielen könne.
Ein getippter Brief der Wasserkommission vom 24. März 1923 (S. 124a) zeugt wieder mal von der großen Bedeutung des Themas Wasser bei allen Vereinsdiskussionen. Es geht hier darum, welchen Teil des Rohrs Eigentum bzw. Verantwortung des einzelnen Kolonisten sei. Es gibt jedoch auch andere Anlässe für Streit. Im November 1925 wird z.B. beschlossen: „Das Verhalten des Kolonisten Herrn Stoppel entspricht nicht der Würde des Vereins“, da er Vorstandsmitglieder „durch Beleidigung und Bedrohung mit Tätlichkeiten“ an ihrer Arbeit gehindert hat. Herr Stoppel soll deswegen aus der Kolonie ausgeschlossen und von der Kolonie entfernt werden (S. 196a). Da er sich weigert und einige anderen Kolonisten sich hinter ihn gestellt haben, betont der Vorstand bald noch einmal Herrn Stoppels inakzeptable Verhaltensweise, „die mit Worten überhaupt nicht zu umgrenzen ist“ (S. 204a, Mai 1926). Bei der Gelegenheit wird auch auf „das Leben und Gesundheit gefährdende Golfspielen innerhalb der Kolonie“ aufmerksam gemacht und die Eltern derjenigen Kinder ermahnt, die „die Laube von Herrn Hoppe mit allen möglichen handgreiflichen Gegenständen bombardieren“. Offensichtlich ging es in der Laubenkolonie nicht immer nur idyllisch zu…
Ein getippter „Bericht über das Geschäftsjahr 1926“ (S. 222a-e) gibt einen weiteren Einblick in die Sorgen der Kolonie. Dort werden die „alten Verhandlungen mit den Behörden über die Erhaltung unseres Geländes“ besprochen, wonach der Bezirk Charlottenburg vor hatte, den betreffenden Streifen der Spandauer Chaussee „in einer Tiefe von ca. 200 m zur Bebauung freizugeben“. Damals freute man sich, in der Frage „Zeit gewonnen“ zu haben und hoffte auf einen erfolgreichen Ausgang, jedoch muss ein Beschluss vom 5. Februar 1927 (S. 224a-b) mit Empörung feststellen, dass die Mitglieder des Vereins zum 1. April gekündigt wurden – „eine Unbilligkeit und Ungerechtigkeit“. Die 38 Familien mit 150 Personen, die ständig und ohne Stadtwohnung in der Kolonie Westend wohnen, würden damit auf die Straße gesetzt, und das nachdem, „von höchster Stelle immer wieder angeregt“, das Gelände „aus einer Sandwüste zu fruchtbaren, hochwertigen Gärten“ durch die Kolonie verwandelt wurde. Die Bedrohung scheint sich jedoch in Luft aufgelöst zu haben, jedenfalls laufen die Protokolle weiter (wer es genauer wissen möchte, muss die darauffolgenden Protokolle entschlüsseln… es scheint bald wenig oder keine Rede mehr davon zu sein).
Im September 1928 werden sieben Jubilare gefeiert, die schon 20 bis 25 Jahre auf der Kolonie sind: „die Pioniere, die vor langer Zeit zum ersten Mal in die Erde Westends die Spaten gesteckt und nicht davon gelaufen seien, wenn auch der Sand drohte, ihren Fleiß zu vernichten“ (S. 254a). Sie seien „die Sturmtrupps gewesen, sie haben Bresche gelegt und den Nachfolgern die Tore zu dem gelobten Land eröffnet“, nämlich „das kleine Stück Erde auch für den kleinen Mann, damit er gesund dahinleben und sich auf diesem bisschen seines Lebens freuen kann“. Es bleibe nur noch das große Ziel anzusteuern: „die Dauerkolonie“ (S. 254b).
Von der Vorstandssitzung am 28. Juli 1926 gibt es ein getipptes Protokoll (S. 390a–c). Dort geht es u.a. um die Wasserkosten: es wird angemerkt, dass für die Parzelle Schäfer, „wo sieben erwachsene Personen wohnen, 4 cbm Wasser monatlich bezahlt werden“ sollen (ob die betreffende Laube 24 qm groß war, steht nicht drin). Es wird von ein paar Parzellisten berichtet, die bei der Besichtigung negativ durch nicht ordnungsgemäße geführte Parzellen aufgefallen sind, und „das Übelstand des Radfahrens in der Kolonie“ wird erwähnt. Erlaubt ist das Radfahren ja nur „öffentlichen Beamten sowie dem Bundesvorsitzenden, dem Mitglied Roth und dem Zeitungsausträger und auch dem Tierarzt“. Weiterhin wird ein Verbot an Herrn Steiner ausgesprochen, die Bierschanke auf seiner Parzelle weiter zu betreiben: „Veranlassung hierzu gibt die kommende Neuordnung der Pachtregelung, wodurch der gewerbliche Bierhandel den Verein in seiner gemeinnützigen Eigenschaft schaden könnte“. Allerdings fällt auf, dass im Januar, Februar und August 1929 in der „Laube Steiner“ und nicht wie sonst im Lokal – v. a. im „Wendig“ am Neuen Fürstenbrunner Weg (bis zum Bezug des Vereinshaus im Mai 1931) – getagt wird.
Am Ende des Vereinsbuchs steht eine chronologische Tafel mit einer Liste der Vorstandsmitglieder 1912–1932 (S. 455-457) sowie eine Liste der Parzellisten am 11. März 1928 (S. 463-466). Diese Seiten sind leider etwas beschädigt und die Liste ist gegen Ende auch nicht mehr ganz vollständig. Sonst steht aber jeweils Laubennummer, Name, Beruf, Adresse, Geburtsdatum und -ort. Die Laubennummern gehen bis Nr. 117. Einige frei aus der Liste gewählte Beispiele:
- Rinowitzky Josef, Eisenbahner, Danckelmannstr. 3, geb. 5/3/77 in Marienburg
- Zimontkowsky Otto, Arbeiter, Laube, geb. 11/1/78 in Koscholnow
- Knaak, August, (?)angestellter, Bismarckstr. 26, geb. 5/12/88 (vermutl. in Berlin)
- Völz Isaodor (?), Arbeiter, Laube, geb. 24/11/04 in Stettin
- Mücke Hermann, Gemüsehändler, Hebbelstr. 10, geb. 4/2/74 in Wahrthal
- Kubalczyk Adalbert, Arbeiter, Laube, geb. 12/4/70 (vermutl. in Berlin)
Ganz am Ende des Buches, stark durch Mäusefraß beschädigt, ist noch eine Liste von Namen und Adressen, jedoch ohne Überschrift. Es scheint eine frühere, alphabetisch geordnete Liste der Parzellisten zu sein: sie zeigt wenig Übereinstimmung mit der Liste von 1928, aber Namen wie Michaelis oder Pache (zwei der allerersten Parzellisten) kommen auf beiden Listen vor. Auch die Tatsache, dass hier immer Wohnadressen genannt werden und nicht wie auf der anderen Liste recht oft „Laube“, deutet auf einen frühen Stand hin, bevor die Kolonie fest etabliert war. Die Anschriften sind zum größten Teil aus dem Kiez Danckelmannstr./Knobelsdorffstr., um den Amtsgerichtsplatz oder um den heutigen Spandauer Damm (damals Spandauer Chaussee).